Wir stehen heute hier, um gemeinsam Frieda Poeschke und Schlomo Levin zu gedenken, die vor 41 Jahren, am 19. Dezember 1980 in ihrem Wohnhaus in Erlangen ermordet wurden. Ein Mitglied der neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann tötete sie aus antisemitischen Motiven.
Wie auch bei anderen rechtsterroristischen Morden im Jahr 1980 – dem Oktoberfestattentat in München und dem rassistischen Brandanschlag in Hamburg – erinnert bei dem antisemitischen Attentat auf Shlomo Lewin und Frida Poeschke vieles an den rechten Terror der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart. So wie die Anfänge und Ursprünge des rechten Terrors in Deutschland weit vor 1980 liegen, ist auch seine Kontinuität bis heute nicht gebrochen.
Wir, als antifaschistische Initiative Das Schweigen durchbrechen! haben es uns zur Aufgabe gemacht, an Opfer rechten Terrors in Nürnberg und der Region zu gedenken. Hierbei zeigt sich, rechter Terror hat Tradition. Eine Tradition, die in Deutschland seit Langem von Neonazis gepflegt wird und doch in der Öffentlichkeit stets geleugnet wurde: nach rechten Terroranschlägen herrscht stets Erstaunen und es wird betont man habe sich so etwas nicht vorstellen können.
Im März 1980 griff ein rassistischer Mob von Taxifahrer:innen zwei afroamerikanische Soldaten an und versuchte diese zu ermorden. Die beiden wurden mit Messern und Knüppeln gejagt. Nachdem einer der beiden fliehen konnte, wurde der zweite mit einem Taxi verfolgt, angefahren, in einer Tankstelle in eine Tonne gesteckt und versucht, mit Benzin zu übergießen um ihn dann anzuzünden. Dieser versuchte Mord scheiterte lediglich daran, dass die betreffende Zapfsäule gesperrt war.
4 Monate später, im Juli 1980 verübten die neonazistischen „Deutsche Aktionsgruppen“ sieben Anschläge. Darunter ein Anschlag auf das Bundessammellager Zirndorf im Fürther Land.
Im Juni 1982 ermordete der Neonazi Helmut Oxner in der Diskothek „Twenty Five“ und der Königstorpassage in Nürnberg William Schenck, Rufus Surles und Mohammed Ehap.
Im Juni 1999 verübte der NSU einen Bombenanschlag auf die Kneipe Sonnenschein in Nürnberg, nur einem Zufall ist es zu verdanken, dass bei diesem Anschlag niemand ums Leben kam.
In den Jahren danach beging der NSU in Nürnberg 3 Morde: Am 9. September 2000 ermordete der NSU Enver Şimşek, am 13. Juni 2001 Abdurrahim Özüdoğru und am 9. Juni 2005 İsmail Yaşar.
Auch der Unwille zur Aufklärung bei Justiz und Ermittlungsbehörden, der unter anderem im Bezug auf den NSU-Komplex deutlich wurde, hat historische Kontinuität. Auch der Mord an Poeschke und Levin wurde durch Vertreter:innen dieses Staates nicht aufgeklärt, der rassistische und antisemitische Normalzustand dieser Gesellschaft, welcher Rechten Terror hervorbringt, nicht benannt, die Strukturen, in welchen der Täter agierte, nicht angegriffen.
Anstatt die rechte Ideologie und Vernetzungen als Tathintergründe zu erkennen, werden Täter:innen pathologisiert und als Einzeltäter:innen aus ihrem gesellschaftlichen Kontext herausgelöst: Oxner beispielsweise fiel bereits im Vorfeld der Morde mit rechten Äußerungen und der Teilnahme an neonazistischen Veranstaltungen auf. Sogar mit dem Mord an Frida Poeschke und Schlomo Levin wurde er in Verbindung gebracht. Trotzdem pathologisierten und entpolitisierten Presse und Politik die Tat in der Folge quasi reflexhaft. Oxner sei, versicherte das Münchner Innenministerium, ein “terroristischer Einzelgänger”. Der Leiter der Kripo-Sonderkommission, Erwin Hösl, erklärte, der Mordschütze sei “wie alle diese Leute nicht normal”.
Auch bezüglich der Anschläge und Morde des NSU lässt sich kein Wille zur Aufarbeitung erkennen. Stattdessen wird krampfhaft an der unzählige Male widerlegten Triothese festgehalten. Diese Triothese ignoriert nicht nur die zahlreichen Unterstützer: innen des NSU oder die Verstrickungen des Verfassungsschutzes in den gesamten Komplex, sondern setzt in bester deutscher Manier einen Schlussstrich unter die Morde und Anschläge.
Rechte Gewalt findet nicht losgelöst von gesellschaftlichen Verhältnissen statt, sie baut auf die Mithilfe der Dominanzgesellschaft und deren Akzeptanz. Wenn Anschläge nicht auf als wertvolle Mitglieder einer herbeiimaginierten Volksgemeinschaft Bezeichnete verübt werden, möchte diese Gesellschaft keinen Terror erkennen. Sie externalisiert die Gewalt genauso, wie sie es mit denen versucht, die sie betrifft. Opfer und Angehörige werden kriminalisiert.
In Nürnberg haben wir besonders deutlich gesehen, wozu die rassistischen Normalzustände innerhalb der Gesellschaft führen: das Unwort „Döner-Morde“, das die Mordserie medial betitelte, wurde von der Nürnberger Zeitung erfunden, die ermittelnden Sonderkommissionen erhielten so bezeichnende Namen wie „Bosporus“ und „Halbmond“. Die Möglichkeit eines rassistischen Tathintergrundes wurde hier wie anderswo nicht verfolgt. Was die Angehörigen der Opfer durch die Morde, die Presse und die Ermittlungen erleiden mussten, können wir nicht in Worte fassen.
Die Ermächtigung der Täter:innen durch rechte Diskurse und menschenverachtende Politik, das Unsichtbarmachen durch die Abwertung der Opfer und die Verharmlosung als entpolitisierte Einzeltäter:innen bilden einen Rahmen, in welchem die Bedrohung durch rechten Terror ungebrochen fortbesteht. Rechtes Gedankengut wie Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Antiziganismus findet sich überall in der Gesellschaft und bereitet den Nährboden für rechte Gewalt.
Gedenken bedeutet für uns die kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Bedingungen rechten Terrors, die Auseinandersetzung mit rechten Strukturen, sowie die Auseinandersetzung mit staatlichen und behördlichem Handeln. In Solidarität mit und an der Seite der Betroffenen und Hinterbliebenen rechten Terrors.
Vor 41 Jahren wurden Frieda Poeschke und Schlomo Levin ermordet. Wir stehen heute hier, um ihrer zu gedenken, denn erinnern heißt kämpfen.
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